Donnerstag, 17. Mai 2012

Dessau-Ziebigk in den 50er Jahren - von Milch in Kannen





Über 40 Jahre lang wohnte ich mit meinen Eltern auf dem Knarrberg in Dessau-Ziebigk und dies ab dem 6. Lebensjahr. Schaute ich aus meinem Zimmer, welches gartenseitig lag, da sah ich linkerhand auf den Anbau unserer Nachbarn, der Familie Wolter, mit dem Kannenwaschraum (1. Foto). Wolters hatten in der Garage neben ihrem Haus ein Milchgeschäft, welches zu meiner Zeit schon ein HO-Geschäft war, Herr Wolter war aber weiterhin der Verkaufsstellenleiter. In den 50er und 60er Jahren war es üblich, daß an Geschäften immer lange Schlangen an Menschen standen und neben einem Milchgeschäft zu wohnen, dies bedeutete viel Krach, ging es doch schon früh morgens los wenn der Wagen mit den großen Milchkannen kam, der auch gleich die gereinigten Kannen vom Vortag mitnahm, was immer mächtig schepperte. Bald standen auch schon die ersten Kunden da, meistens schon eine halbe Stunde vor Ladenöffnung. Milch holte man damals in Milchkannen. Unsere alten Milchkannen habe ich noch und heute holte ich sie mal vor um sie zu fotografieren (2. Foto). Die große braune Kanne hatten wir kaum mal benutzt, soviel Milch tranken wir nicht, aber an die beiden kleinen Kannen kann ich mich noch sehr gut erinnern, wenn ich rüber zu Wolters ging und Milch kaufte. Neben Milch gab es dort auch andere Molkereiprodukte, Käse, Fleischsalat und anderes. Käse und Fleischsalat gab es immer lose, auch die Butter gab es vom Stück. Mittags kam dann der Bierwagen von der Dessauer Brauerei, ein Pferdefuhrwerk. Der Kutscher lud die Bierkästen ab und nahm das Leergut mit. Der Kutscher war ein ekelhafter Kerl, ein Säufer, der fast immer angetrunken auf dem Kutschbock saß und die Pferde schlecht behandelte. Widerlich wie er grundlos öfter auf die armen Tiere einpeitschte! Die Brauerei gab damals viel Bierdeputat aus und da gewöhnten sich die Beschäftigten das Saufen an. Vom damals in den Zeitungen propagierten neuen sozialistischen Menschen war so gut wie nichts im Alltag zu spüren, Kleinbürgermief bestimmte den Alltag.

Das dritte Foto zeigt mich in unserem Vorgarten Ende der 50er Jahre, links war das Milchgeschäft, auf der Tafel mit dem Angebot kann man folgendes lesen: Margarine: Sahna, Vita, Marina, Sonja – Fleischsalat stets frisch im Kühlschrank – Käse: Schipka, Schmelzkäse, Harzer Käse, Limburger. Was es eigentlich immer gab, war Milch, Butter und Harzer Käse. Alles andere gab es nicht immer! Also, auch der gute Camembert mit dem Kyritzer Knatterfrosch auf der Verpackung drauf, den gab es nur alle paar Wochen mal. Was wirklich sehr gut schmeckte, das war der Harzer Käse, der in einer kleinen privaten Käserei in Dessau-Ziebigk hergestellt wurde und der Fleischsalat. Letzterer war so gut, wie er in Westzeiten nie wieder qualitätsmäßig erreicht wurde.

Auf dem 4. und letzten Foto, noch einmal ich in unserem Vorgarten und eine kleine Ecke des Milchladens, welcher ja eigentlich nur eine einfache Garage war. Der große grüne Schaukasten war nicht etwa ein Werbekasten des Milchladens, sondern ein Propagandakasten der Nationalen Front des Wohngebietes. Die in der Schlange stehenden Kunden sollten auch da noch agitiert werden, obwohl sie schon genügend in den Zeitungen, im Fernsehen, im Radio, auf der Schule oder auf der Arbeit mit den immer gleichen Phrasen berieselt wurden.

Keine Kommentare: