Mittwoch, 29. September 2010

Der Chery K. Gessinger-Verlag in der Berliner Linienstraße 145








Kommt man heute in die Berliner Linienstraße 145, so erinnert nichts mehr an den nach dem Krieg dort ansässigen Comic-Verlag von Chery K. Gessinger. Schon Ende 1945 beantragte Gessinger bei der sowjetischen Militärverwaltung von Ostberlin eine Konzession für seinen kleinen Comicverlag, die er Anfang 1946 erhielt. In einer Zeit als Berlin in Schutt und Asche lag, die Menschen hungerten, eine mehr als mutige Geschäftsidee! Erstaunlich auch, daß die Russen diese Konzession erteilten, denn Comics gehörten ja in der Sowjetunion kurz nach Kriegsende nicht zu den alltäglichen Dingen, es gab wichtigere Dinge. Bekannt ist allerdings auch, daß die sowjetischen Militärverwaltungen in ihrer Zone und in Ostberlin enorme Anstrengungen unternahmen, daß die Kultur wieder auf die Beine kam. Konzerte, Theater, Kino, Literatur – all dies wurde nach Kräften gefördert.

Chery K. Gessinger verlegte 1946 als Nr. 1 der Reihe „Onkel Chery´s Bilderbuch“ die Bildgeschichte „Bunte Reise im Kreise“, frei nach Jules Vernes „Reise um die Erde in 80 Tagen“. Den Text schrieb Anna P. Wedekind-Pariselle, welche vor dem Krieg Bücher wie die „Sparsame Kochkunst“ (1936) oder "Ich weiß Bescheid! Rathschläge und Winke für die deutsche Hausfrau“ (o.J.) schrieb. Diese Bücher wurden von der Berliner Zeichnerin Elli (Elly) Lemke (nach dem Krieg: Lemke-Czerwinski) illustriert. Von Elly Lemke-Czerwinski stammen die Cartoons zu „Onkel Chery´s Bilderbuch Nr. 1". Auch später noch arbeiteten die beiden Künstlerinnen zusammen, so in dem Kinderbuch „Es schlägt die Uhr - wie spät ist's nur?“, Zeichnungen von Elly Lemke-Czerwinski, Berlin (damals wohnhaft in Berlin, Linienstraße 145, im gleichen Hause wie der Gessinger-Verlag), 1947 bei Evers-Krenz, Berlin, erschienen.

Schon 1947 verliert sich die Spur des Verlages von Chery K. Gessinger. Ein weiteres „Onkel Chery´s Bilderbuch“ erschien nicht mehr, obwohl dies ja geplant war, ansonsten hätte man nicht von „Nr. 1“ geschrieben. Interessant sind bei dem mir vorliegenden Exemplar aus meiner Comicsammlung die beiden Stempel der „Kinderpost“, dies könnte darauf hin deuten, daß die „Bunte Reise im Kreise“ der „Kinderpost“ (siehe auch: http://members.aon.at/zeitlupe/kinderpost.html ) beigelegt war.

Aus Wikipedia: „Die Kinderpost war eine österreichische Kinder- und Jugendzeitschrift, die von 1946 bis 1959 erschienen ist. Mit der Nullnummer im Dezember 1945 und dem regulären Start zu Jahresbeginn 1946 war die Kinderpost der Pionier unter den österreichischen Kinderzeitschriften der Nachkriegszeit. Die bis 1949/50 vom Verlegerpaar Hans-Fred und Gerda Handl herausgegebene Zeitschrift hatte eine Vorbildrolle für die etwas später gegründeten Zeitschriften Unsere-Zeitung (KPÖ-nahe)…“

Denkbar wäre diese Chery-Beilage für die österreichische „Kinderpost“, denn auch die „Kinderpost“ gehörte zum sowjetischen Einflußgebiet in Österreich, denn ebenso wie Deutschland war Österreich nach dem Krieg in Besatzungszonen eingeteilt und wie Berlin war auch Wien in Sektoren eingeteilt und auch die damalige österreichische „Kinderpost“ kann schon durch die agierenden Personen dort, als mit der kommunistischen Partei sympathisierend, bezeichnet werden.
Anbei ein paar Scans von dem besagten Comic-Heft.

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