Dienstag, 1. Juni 2010

Erinnerungen an Carl Marx (1911-1991)



Scheinbar gefallen den Lesern meine Beiträge mit alten Postkarten, denn da bekomme ich immer sehr viele Emails. Nun, denn! In meiner Postkartensammlung befinden sich nicht nur Kitschpostkarten um 1900, sondern ich habe auch ein paar Karten der Neuzeit dabei, diese sind aber in der Minderzahl, weil ich da nur wenige für mich interessante Karten gesammelt habe. Zu diesen Karten zählen auch zwei aus der späten DDR-Zeit, die einmal das Dessauer Bauhaus herausgegeben hatte. Ich hatte sie deshalb erworben, weil sie Motive des Dessauer Malers Carl Marx (1911-1991) zeigen und von ihm handsigniert wurden. Weshalb ich besonders an Carl Marx interessiert war, dies hatte auch den einfachen Grund, weil er in meiner Straße auf dem Knarrberg in Dessau-Ziebigk gewohnt hatte und dies nur ein paar Häuser von mir entfernt, siehe dazu auch meinen Blogbeitrag http://barrynoa.blogspot.com/2007/12/carl-marx-und-bn.html .


Auf dem Knarrberg wohnte lange Jahre Carl Marx allein mit seinem Vater zusammen in einem der bekannten Siedlungshäuser. Sein Vater gehörte zu der ersten Siedlergeneration die in der Siedlung auf dem Knarrberg in den 20er Jahren einen progressiven ökologischen Lebensstil pflegten, bedingt schon durch das architektonische Konzept dieser Siedlung der weitgehenden Selbstversorgung. Nach 1945 verschwand dieses lebensreformerische immer mehr aus der Siedlung, da die alten Siedler oft ihre Häuser an Neuzukömmlinge verkauften und damit veränderte sich die soziale Struktur. Statt lebensreformerischen Siedlern dominierte nun eine kleinbürgerliche Schicht die sich den herrschenden neuen Bedingungen angedient hatte. Nach außen zwar in das pseudofortschrittliche Horn der „sozialistischen“ Machthaber aus Eigennutz tutend, blieb diesen neuen Eigentümern der Häuser der fortschrittliche Charakter der lebensreformerischen Siedlung aber innerlich fremd und die meisten Häuser wurden spießbürgerlich „modernisiert“. Nur wenige Siedlungshäuser blieben lebensreformerisch erhalten und wurden in dieser Form genutzt, so das Haus von Carl Marx, der aber dadurch in späteren Jahren immer mehr ein Außenseiter in dieser Straße wurde, da er auch finanziell mit den vielen Profiteuren des damaligen Systems nicht mithalten konnte. Von der offiziellen Kulturpolitik viele Jahre verfemt, führte Carl Marx das Leben eines Bohemien. Erst in den 80er Jahren änderte sich das ein wenig, aber da war Carl Marx schon so verbittert und vereinzelt, daß er seinen Lebensstil nicht mehr änderte. Statt sich ein wenig materiellen besseren Lebensstandard zu gönnen, spendete er die Einnahmen seiner Bildverkäufe für Vietnam oder andere Solidaritätszwecke und lebte weiter mehr als bescheiden, hauptsächlich sich von Milch, Haferflocken und Harzer Käse ernährend.


Die neue städtische Oberschicht damals zog gerne in Siedlungen wie Dessau-Haideburg, Dessau-Siedlung oder Dessau-Ziebigk und diese Schicht wollte nicht nur dort wohnen sondern auch Eigentum an den Häusern erwerben. Dieser Hauserwerb war damals staatlich geregelt, einfach so kaufen ging nicht, man brauchte eine Genehmigung, daß man auch dort hin ziehen durfte. So kam es, daß fast nur „gewisse“ Leute dort neue Hauseigentümer wurden. Carl Marx wurde oft bedrängt, wegen seiner Geldnot, sein Haus an derlei Menschen zu verkaufen. Ich erinnere mich noch gut daran wie er gewisse Leute durch ein Schild in seinem Vorgarten abschreckte. Auf diesem stand: „Hier wird k e i n Haus verkauft!“


Ja, ja! Carl Marx und seine Schilder! Die offizielle DDR gab sich gern antifaschistisch, war es aber leider nicht wirklich. Marx malte ein Schild "Hier wohnt ein Antifaschist"! Die Pseudo-Antifaschisten fühlten sich düpiert und Marx, der ja nun tatsächlich unter den Nazis ein Antifaschist war, mußte das Schild wieder entfernen, dafür sorgten schon das ihn umgebende Spießbürgertum, welches wahrscheinlich fühlte, daß es mit diesem Schild provoziert werden sollte, denn gerade aus der kleinbürgerlichen Denk-und Lebensweise, wie sie im deutschen Volk leider mehrheitlich verbreitet ist, entsteht ja bekanntermaßen eine faschistische Gesinnung. Carl Marx hatte nicht gern Besuch. Aus diesem Zweck hing er sehr oft ein Schild mit der Aufschrift „Bin in Leipzig“ in sein kleines Fenster was sich am Tritt befand. Ja und dann passierte es öfter, daß er Besuch zwar eingeladen hatte, aber er es sich kurzfristig überlegt hatte, diesen lieber doch nicht sehen zu wollen. Dann nutzte es auch nichts, daß diese Eingeladenen lange an die Tür klopften, Marx machte nicht auf!

In den 50er und 60er Jahren war Carl Marx ein Frauenschwarm, braungebrannt und sportlich wie er war. Diese seine Liebschaften, Ballettänzerinnen vom Dessauer Theater, Krankenschwestern vom Klinikum in Alten oder eben nur junge hübsche Mädchen, die ließ er natürlich herein. Hübsch waren sie alle - seine Freundinnen! Ich erinnere mich als Kind in den 50er Jahren öfter von Spielkameraden bewundernd den Namen „die schwarze Monju“ gehört zu haben, als eine flotte junge schwarzhaarige Dame die Straße entlang kam, um dann im Haus von Carl Marx zu verschwinden. Einer meiner damaligen Spielkameraden, der wußte es genau: „Die schwarze Monju, das ist eine Sexbombe!“


Daß nun die neuen Hausbesitzer des Knarrbergs unter ihresgleichen engsten Kontakt hielten, aber Carl Marx mehr oder weniger ausschlossen, dies zeigte sich beim Sterben von Carl Marx im März 1991. Seine Hilfeschreie hörte niemand oder wollte niemand hören. Hätte Marx in einem Umfeld der Solidarität gelebt, so wie dies in den Anfangszeiten der Knarrberg-Siedlung der Fall war oder wie dies noch lange Zeit in Wohngebieten der „Unter“schichten der Fall war, dann hätte jemand den Notdienst gerufen und er wäre nicht so früh verstorben. So aber fand man ihn erst nach Tagen tot in seinem Häuschen.

Neben den beiden Karten habe ich auch noch ein typisches Carl-Marx-Bild aus den 50er Jahren eingescannt, sowie einen Zeitungsauschnitt aus den „Mitteldeutschen Neuesten Nachrichten“, der zu seinem 65. Geburtstag erschien.

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